Berufskolleg Canisiusstift

mit Beruflichem Gymnasium

Wenn der Krieg wieder nahe kommt

Diese Gruppe besucht die Gräber der Zwillingsbrüder Ludwig und Julius, die erst seit 2019 wieder vereint sind. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Diese Gruppe besucht die Gräber der Zwillingsbrüder Ludwig und Julius, die erst seit 2019 wieder vereint sind.

Zur Schulfahrt des Berufskollegs Canisiusstift in die Normandie gehört auch ein Besuch des amerikanischen Soldatenfriedhofes Omaha Beach

Tief bewegt stehen die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs Canisiusstift in diesen Tagen zwischen tausenden von Kreuzen auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof Omaha Beach. Hier liegen fast 10.000 Gefallene des Zweiten Weltkrieges. Die Schicksale dieser Amerikaner, die kaum älter sind als die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Ahaus, berühren umso mehr, wenn man bedenkt, dass es in Europa jetzt wieder Krieg gibt. Daran erinnern die Guides, die die Gruppen über die Anlage führen.

Josianne steht vor der Mauer mit über 1500 Namen gefallender Soldaten, deren sterblichen Überreste nie gefunden wurden. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Josianne steht vor der Mauer mit über 1500 Namen gefallender Soldaten, deren sterblichen Überreste nie gefunden wurden.

Gewalt, Verfolgung und Flucht gab es auch zur Zeit der Ordensgründerin Maria Magdalena Postel während der Franszösischen Revolution. Davon hören die Berufsschüler an ihrem Geburtsort Barfleur. Doch erst in Omaha Beach wird ihnen bewusst, wie brutal ein Krieg sein kann.

Josianne, eine Mitarbeiterin der American Battle Monuments Commission (ABMC), die das Gedenken an die amerikanischen Soldaten in der Normandie aufrecht erhält, erzählt bei dem Rundgang mit ihrer Gruppe über den Soldatenfriedhof von den Zwillingsbrüdern Ludwig und Julius, die beide als Funker auf einem Schiff arbeiteten, das bei der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944, dem sogenannten D-Day, beschossen wurde.

Die Schülerinnen und Schüler hören aufmerksam zu, wie die allierten Truppen im Juni 1944 der Normandie gelandet sind. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Die Schülerinnen und Schüler hören aufmerksam zu, wie die allierten Truppen im Juni 1944 der Normandie gelandet sind.

Beide kamen ums Leben. Doch nur die Leiche von Ludwig wurde gefunden. Erst 2018 entdeckte man in einem versunkenen Wrack die sterblichen Überreste eines Menschen, den man als Julius identifizierte.

„Bis heute werden die Nachkommen in solchen Fällen ausfindig gemacht und gefragt, ob die Überreste überführt oder hier beigesetzt werden sollen“, erläutert Josianne. In diesem Fall entschied sich die Familie dafür, den Bruder ebenfalls in Omaha Beach beizusetzen. Der Leichnam von Ludwig wurde exhumiert, um ihn neben dem neuen Grab von Julius zu bestatten. „So sind die Zwillinge fast 80 Jahre später endlich wieder vereint“, berichtet die Frau, die mit den Schülerinnen und Schülern aus Ahaus zum Friedhof geht. Auch sie selbst ist von dieser Geschichte immer noch bewegt.

Aus Feinden werden Freunde

Auch Judensterne befinden sich zwischen den fast 10.000 Kreuzen. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Auch Judensterne befinden sich zwischen den fast 10.000 Kreuzen.

Ein paar Meter weiter hört eine Gruppe einer anderen ABMC-Mitarbeiterin dabei zu, wie sich Menschen, die im Krieg aufeinander zielten, viele Jahre später versöhnen und sogar Freundschaften zwischen ihnen entstehen. Und sie schließt mit dem Hinweis: „Ich bin Französin. Sie sind Deutsche. Damals hätten wir uns nicht begegnen dürfen. Heute führe ich Sie über diese Gedenkstätte. Hoffen wir, dass wir hier nie wieder Krieg haben.“ Diese Botschaft kommt an.

Zwei Stunden später besuchen die Schülerinnen und Schüler die ehemalige Artillerie-Batterie der Deutschen Wehrmacht bei Merville, die kurz vor dem D-Day durch britische Soldaten zerstört worden war. „Hier bekam ich mit, wie sich einige Schülerinnen und Schüler über den Tod unterhielten. Daran merkt man, wie sehr sie das Thema bewegt“, beobachtete Lehrerin Christiane Wermert.

Schülerinnen und Schüler in den Bunkern der früheren deutschen Artillerie-Batterie. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Schülerinnen und Schüler in den Bunkern der früheren deutschen Artillerie-Batterie.

Vortour vor einem Jahr

Und auch Charlotte Groten gehen diese Erlebnisse erneut unter die Haut. Sie gehörte zu der Gruppe des Berufskollegs, die im vergangenen Jahr zu einer Vortour in die Normandie gereist war, um die Ziele für die Fahrt der gesamten Schule anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens auszusuchen. „Uns war klar, dass die Soldatenfriedhöfe dazugehören. Wenn man sie besucht, nehmen die Reihen der Kreuze gar kein Ende. Und wenn man sich vorstellt, dass jedes Kreuz für ein Menschenleben steht, wird einem ganz anders.“

Auch Uniformen, Pässe, persönliche Gegenstände und Waffen gehören zu den Ausstellungsstücken. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Auch Uniformen, Pässe, persönliche Gegenstände und Waffen gehören zu den Ausstellungsstücken.

Eine besondere Erfahrung schildert der Schüler Luca Dinkelborg in dem Blog, worin sich die Schülerinnen und Schüler über ihre Erlebnisse in Ahaus austauschen. Er las den Brief eines deutschen Luftwaffenpiloten vor, der bei den Amerikanern für seine Taten im Zweiten Weltkrieg um Entschuldigung bat. „Es waren nicht die englischen Worte, die mich hier und da stocken ließen. Es war die Tatsache, dass ich in diesem Moment all die Last und Schuld eben jenes Deutschen auch auf meinen Schultern spürte.“ Auf einmal habe er sich gefühlt wie der Verfasser, schildert der 23-Jährige diesen emotionalen Moment. Der Krieg in der Ukraine, der im Fernsehen eher abstrakt bleibt, werde auf einmal konkret.

Zu Hause verfolgen die Reise viele mit

Schüler betrachten die Haubitze aus der Nähe. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Schüler betrachten die Haubitze aus der Nähe.

Charlotte Groten hatte diesen Blog zuvor installiert, um den Gruppen, die jeden Tag verschiedene Orte anfahren, einen Austausch über das Erlebte anzubieten. Die angehende Erzieherin, die bereits am Berufskolleg Canisiusstift ihr Abitur gemacht hat, absolvierte anschließend eine Ausbildung als Veranstaltungskauffrau. „Ich hätte anfangs nicht gedacht, dass der Blog so gut genutzt wird.“ Aber das zeige, wie viele verschiedene Eindrücke es gebe und wie groß das Bedürfnis sei, sich auszutauschen.

Und was die 23-Jährige besonders freut: „Auch diejenigen, die zu Hause bleiben mussten, weil sie Kinder haben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mit konnten, erfahren auf diese Weise während ihrer Projekttage, was wir hier erleben.“

Informationstafeln geben einen Überblick über die Ereignisse kurz vor dem D-Day, als die Batterie von den Briten vernichtet wurde. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Informationstafeln geben einen Überblick über die Ereignisse kurz vor dem D-Day, als die Batterie von den Briten vernichtet wurde.