Berufskolleg Canisiusstift

mit Beruflichem Gymnasium

Schüler untersuchen das Schicksal geflüchteter Jesiden

Kunstlehrer Ferdinand Schreiber diskutiert mit seinen Schülerinnen Luisa Bergemann,  Charlotte Wißeling und Elisa Robert, (v.r.). Foto: SMMP/Bock
Kunstlehrer Ferdinand Schreiber diskutiert mit seinen Schülerinnen Luisa Bergemann, Charlotte Wißeling und Elisa Robert, (v.r.).

Außergewöhnliches Projekt am Canisiusstift endet mit der Zusammenstellung einer Broschüre

Kaum einer kennt das Schicksal der Jesiden, einem Volk, dem weltweit zwei Millionen Menschen angehören. Viele von ihnen wurden 2014/2015 vom Islamischen Staat aus ihrer Heimat im Nordirak vertrieben. 100.000 von ihnen leben in Deutschland. Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs Canisiusstift haben Jesiden befragt und eine Broschüre über die Herkunft, die Kultur und das Schicksal dieses Volkes gestaltet.

Als Serhat Ortac von der Gesellschaft jesidischer Akademiker in dieser Woche an das Berufskolleg kam, um einen Vortrag über sein Volk zu halten, staunte er über die Broschüre und zollte den Schülern aus dem 13. Jahrgang des beruflichen Gymnasiums Respekt. Wissend, dass die jesidische Kultur vielen unverständlich erscheint, gab er den Schülern auf den Weg: „Schaut nicht auf Vorurteile, sondern zeigt Interesse an den Biografien anderer.“ Genau das hätten sie bei diesem Projekt getan.

Serhat Ortac von der Gesellschaft jesidischer Akademiker hielt zum Abschluss des Projektes einen Vortrag über die jesidische Kultur. Foto: Johannes Schmittmann/ Münsterland-Zeitung
Serhat Ortac von der Gesellschaft jesidischer Akademiker hielt zum Abschluss des Projektes einen Vortrag über die jesidische Kultur. Foto: Johannes Schmittmann/ Münsterland-Zeitung

Das Schicksal vieler Flüchtlinge ist für die Schülerinnen und Schüler durch das außergewöhnliche Projekt konkret geworden. Jennifer Schulze gibt beispielsweise zu, bis vor einigen Wochen noch nicht viel von den Jesiden gewusst zu haben: „Jetzt bin ich von ihrer Geschichte und Lebensweise fasziniert.“

Uraltes Volk

Dabei gehörten die Jesiden zu den ältesten Völkern, vielleicht auch zu den ältesten Religionen der Welt, erläutert Kunstlehrer Ferdinand Schreiber. Er hatte die Realisierung der Dokumentation angestoßen, nachdem er vom Ahauser Lions Club darauf angesprochen worden war, ob er mit seinen Schülern ein Projekt zum Flüchtlingsthema durchführen wolle.

Der Kunstkurs des Abijahrgangs am Berufskolleg Canisiusstift unter Leitung von Ferdinand Schreiber interviewte Jesiden zu der Situation ihres Volkes. Foto: SMMP/Ulrich Bock
Der Kunstkurs des Abijahrgangs am Berufskolleg Canisiusstift unter Leitung von Ferdinand Schreiber interviewte Jesiden zu der Situation ihres Volkes.

„In den Medien kommt diese Gruppe kaum vor. Erst durch die Kämpfe im Sommer 2015 mit den IS-Milizen im Sindschar-Gebirge westlich von Mossul erlangte ihr Schicksal weltweit Aufsehen“, so Ferdinand Schreiber. Genau deshalb fand er es spannend, sich dieser Volksgruppe mit seinem Kurs zu nähern. Einer Volksgruppe, die in ihrer Geschichte schon zig Genozide erlebte, die häufig vertrieben wurde – „obwohl sie selbst einer der friedlichsten Religionen überhaupt angehört“, wie der Lehrer ausführt.

Sein Schüler Justus Paganetty hat dazu recherchiert: „Die Jesiden beten zuerst für andere, dann für sich selbst. Ihre eigenen Bedürfnisse stellen sie hinten an. Sie sind absolut friedlich, wurden aber schon immer verfolgt.“

Die Jesiden glauben an denselben Gott wie Christen, Juden und Muslime, beten aber den Engel Melek Taus an, der als Pfau symbolisiert wird. Teile der muslimischen Welt sehen in ihm eine Art Teufel, worin eine der Ursachen für Vertreibungen liegt. „Dabei resultiert vieles aus einer Missdeutung“, verdeutlichte der Experte Serhat Ortac den Schülerinnen und Schülern.

Obaid Hasan trifft sich mit den Abiturienten des Canisiusstifts. Foto: Patrick Walfort
Obaid Hasan trifft sich mit den Abiturienten des Canisiusstifts.

Fünf Gruppen besuchten Jesiden

Aufgeteilt in fünf Gruppen besuchte der Kunstkurs im November und Dezember 2016 Jesiden, die in Deutschland schon heimisch geworden oder gerade erst hierher geflüchtet sind, und noch auf ihre Frauen, Kinder oder Männer warten. Verschiedene Organisationen und hilfsbereite Menschen hatten geholfen, die Kontakte herzustellen.

Charlotte Lembeck erzählt von ihrer Begegnung mit Suat, der 1970 als 16-Jähriger hierher kam: „Er hat hier eine Ausbildung absolviert und studiert. Zwischendurch arbeitete er als Schweiß-Facharbeiter. Wie alle Jesiden, die schon länger hier leben und die wir kennenlernten, hat er sich und seiner Familie eine eigene Existenz aufgebaut.“

Und Elisa Robert berichtet von einem Angehörigen dieses Volkes, der vor elf Monaten aus Armenien nach Deutschland geflüchtet war: „Er erzählte, dass zwei seiner Kinder nach der Geburt aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit nicht ordentlich versorgt wurden und deshalb starben. Sein drittes Kind ließen er und seine Frau aus Verzweiflung katholisch taufen.“

Große Gastfreundlichkeit

Auffallend war für die Schülerinnen und Schüler des Canisiusstifts die Gastfreundlichkeit. „Die Jesiden haben uns sofort Kaffee und Plätzchen angeboten. Wir kamen schnell ins Gespräch“, erzählt Madleen Hill. Und Jennifer Schulze beeindruckte die Offenheit der interviewten Emigranten und Flüchtlinge: „Es war außergewöhnlich, was uns diese Menschen alles anvertraut haben. Vorher hatte ich keinen Kontakt zu Flüchtlingen. Diese Begegnungen haben gezeigt, dass wir keine Berührungsängste haben müssen.“

Die Siedlungsgebiete der Jesiden
Die Siedlungsgebiete der Jesiden
liegen heute vor allem im nördlichen Irak, in der östlichen Türkei und in Armenien. Die Fluchtroute vieler Jesiden nach Zentral-Europa führt über die Türkei, Bulgarien und Serbien.

Charlotte Lembeck sagt: „Das Verhältnis zu unserem jesidischen Gesprächspartner war am Ende sehr offen, fast freundschaftlich.“ In ihrer Heimatstadt Gronau sei eine große Gruppe von Flüchtlingen in einem früheren Hotel untergebracht: „Dort gibt es jeden Mittwochabend ein Café, in dem sich Flüchtlinge und Einheimische begegnen. Jetzt bin ich dort auch schon mal mit einer Freundin hingegangen.“ Auf diese Idee wäre sie vor einigen Monaten vielleicht noch nicht gekommen: „Jetzt aber ist meine Einstellung zu Flüchtlingen klarer und positiver geworden.

Auch Ferdinand Schreiber engagiert sich in seiner Heimatstadt Stadtlohn ehrenamtlich für Flüchtlinge. Ihm ist es wichtig, den in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen die Augen zu öffnen. Deshalb hat er nach seiner Pensionierung noch einmal am Canisiusstift zu unterrichten begonnen. „Am liebsten ist es mir, wenn ich bei meinen eigenen Unterrichtsprojekten mitlernen kann. Das passiert hier“, sagt der 69-Jährige, der so wieder zum Schüler wurde.

Elf Tage lang unterwegs

Die Berichte seiner Abiturienten liest er mit großer Neugier – wie den von Obaid, der mit seiner Verlobten aus dem Irak nach Deutschland kam. Der Text beschreibt auch seine Flucht mit dem Bus in die Türkei, zu Fuß nach Bulgarien und weiter nach Serbien: „Sie dauerte elf Tage. Und sie konnten lediglich eine Tasche mit Essen, Wasser und etwas Kleidung mitnehmen.“

Jetzt ist Obaid zwar traurig, keinen Tempel mehr zum Beten zu finden. „Aber er freut sich über die Freiheit, in der er nun leben kann – und dass es keine Rolle mehr spiele, welche Religion er lebt. Außerdem seien hier sehr nette Menschen“, heißt es in dem Bericht.

Er steht mit in der Broschüre, die nun am Berufskolleg Canisiusstift erhältlich ist. Informationen gibt das Sekretariat unter Tel. 02561 9502-0.