Gewalt im Jugendalter ist ein viel diskutiertes und zugleich altbekanntes Thema. Auch Erzieher/innen treffen immer öfter auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die sich gerne und häufig prügeln und die durch herkömmliche Methoden pädagogischer Arbeit nicht erreichbar sind. Schule und Jugendhilfe geraten an Grenzen, während viele Eltern bereits aufgegeben haben und ihrem Erziehungsauftrag nicht mehr nachkommen.
Gewalt ist keine Lösung! Dass dies selbstverständlich auch für Kinder und Jugendliche gilt, bekamen 20 Berufspraktikanten und Berufspraktikantinnen der Fachschule für Sozialpädagogik unseres Berufskollegs während des dreitägigen Workshops „Verstehen, aber nicht einverstanden sein!“ bestätigt. Mit anschaulichen und emotionalisierenden Übungen vermittelten Ingo Melzer als Antiagressivitäts- und Coolnesstrainer und David Heimann als Coolnesstrainer wie Gewalt entsteht und wie Erzieher/innen gezielt intervenieren und die Gewaltspirale durchbrechen können, ohne ihre Beziehung zu ihrem Klientel zu verlieren.
Der Leitsatz „Verstehen, aber nicht einverstanden sein“ m
acht die Richtung des Workshops deutlich. Im ureigensten Sinne von „verstehen“ (erklären können), werden die Hintergründe und Umstände für die Regel- und Normverletzung bei gleichzeitiger klarer Ablehnung der Tat beleuchtet. Es geht also darum, strikt zwischen der Person des Täters und dessen Handlung zu unterscheiden. Die Tat wird abgelehnt, der Mensch wird akzeptiert.
Wenn Empathie und Zugewandtheit nicht mehr greifen und sozialpädagogische Floskeln nicht mehr ankommen, so erfuhren die angehenden Erzieher/innen und ihre Lehrerin Mechthild Passerschröer, ist es notwendig, von der gewohnten Pädagogik abzuweichen. Es muss etwas Unerwartetes geschehen, es muss konfrontiert werden. Bildlich gesprochen ist der empathische und wertschätzende Werkzeugkasten der Erzieher/innen mit einem großen Repertoire gefüllt, während in dem konfrontativen Werkzeugkasten nur ein Hammer liegt. „Beide Werkzeugkästen müssen gleichermaßen gefüllt sein, um in allen Situationen angemessen reagieren zu können“, stellt David Heimann fest. Niemand kommt als Gewalttäter auf die Welt. Die Arbeit mit Tätern ist auch Opferschutz, betont Melzer deutlich. Um aber mit den Tätern arbeiten zu können, müssen die angehenden Erzieher/innen verstehen, wie diese zum Täter wurden. Die präventive Arbeit beginnt für die Erzieher/innen nicht erst in der stationären oder teilstationären Jugendhilfe, sondern schon viel früher. Alle gewalttätigen Jugendlichen, mit denen sie in ihrem späteren Berufsleben in stationären und teilstationären Projekten arbeiten, haben in ihrer Kindheit Kindergärten, Kindertagesstätten, Tageseinrichtungen und Schulen besucht. Deshalb ist es wichtig, auch dort schon mit gesundem Sachverstand und entsprechender Fachlichkeit hinzuschauen und einzuwirken.
Wichtiger Bestandteil des dreitägigen Workshops war das SelbstFAIRteidigungstraining. Hierbei handelt es sich um ein Selbstverteidigungssystem aus der und für die Praxis. „Wenn bedrohliche Situationen eskalieren, müssen die Erzieher/innen in der Lage sein, unter Anwendung von sanften Mitteln der Selbstverteidigung die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen, um sich und andere zu schützen“, so Melzer. Souveränes und selbstsicheres Auftreten in Konfliktsituationen können die Teilnehmer nach der theoretischen Einweisung bei Raumdurchquerungen üben und unter Beweis stellen. Die Raumdurchquerungen beinhalten alltägliche, provokante und bedrohliche Situationen, die mittels der eigenen Körpersprache, dem eigenen Auftreten oder auch durch erlernte Techniken der Selbstverteidigung als letztes Mittel klärend eingesetzt werden müssen. Für einige Teilnehmer stellt dies bereits eine Grenzerfahrung dar. So haben die angehenden Erzieher/innen viel über Konfliktverhalten, Entstehung von Konflikten und vor allem über sich selbst gelernt. Da das Projekt bei den angehenden Erziehern und Erzieherinnen auf so gute Resonanz gestoßen ist, soll es im nächsten Jahr an unserem Berufskolleg zum fünften Mal in Folge durchgeführt werden.